Schöne Frau im gelben Sommerkleid sitzt in einem Blumenmeer aus Narzissen.

Schönheitswahn

MONTAG, 07. JUNI 2021

Selfies und Videokonferenzen Chirurgen fürchten neuen Schönheitswahn

Was frü­her der Spie­gel war, ist jetzt das Inter­net. Man schaut hin­ein und bekommt zu sehen, wie man angeb­lich aus­se­hen soll. Grö­ße­re Augen, glat­te­re Wan­gen — mit Fil­tern kein Pro­blem. Immer mehr Men­schen wol­len aber ohne digi­ta­le Hil­fe so aus­se­hen, sagen plas­ti­sche Chirurgen.

Seit mehr als 30 Jah­ren erfüllt Wer­ner Mang Schön­heits­wün­sche. Immer mehr jun­ge Pati­en­ten schi­cke er aber wie­der weg, sagt der Lei­ter der Boden­see­kli­nik für plas­ti­sche Chir­ur­gie in Lin­dau. “Heu­te in der Früh hat­te ich hier wie­der ein 13 Jah­re altes Mäd­chen, das die Nase von Kylie Jen­ner haben woll­te”, sagt der 71-Jäh­ri­ge, der schon Götz Geor­ge die Nase rich­te­te. “Die­se Ent­wick­lung ist krank. Mark Zucker­berg hat Mons­ter erschaffen.”

Sozia­le Medi­en und Foto­fil­ter als Trei­ber eines neu­en Schön­heits­wahns bei Jugend­li­chen? Auch der plas­ti­sche Chir­urg Alex­an­der Hil­pert sieht dar­in eine gefähr­li­che Ent­wick­lung. “Wer häu­fig Bil­der von sich ver­sen­det, will auch schö­ner aus­se­hen”, sagt der 56-Jäh­ri­ge, der in Duis­burg und Düs­sel­dorf prak­ti­ziert. “Das hat sich in den letz­ten Jah­ren extrem ver­stärkt, die­se Anfra­gen kom­men inzwi­schen täglich.”

Ver­läss­li­che Zah­len dazu lie­gen der Deut­schen Gesell­schaft für Ästhe­tisch-Plas­ti­sche Chir­ur­gie (DGÄPC) nicht vor. In sei­ner Jah­res­sta­tis­tik 2020 erfass­te der Ver­band nur tat­säch­lich vor­ge­nom­me­ne Ein­grif­fe und die Moti­va­ti­on dazu, nicht aber die abge­lehn­ten Anfra­gen. Dem­nach leg­ten Pati­en­ten nur in 2,3 Pro­zent der Fäl­le digi­tal bear­bei­te­te Vor­la­gen von sich selbst als Ziel­vor­stel­lung vor — ein Minus von 11,7 Pro­zent gegen­über dem Vorjahr.

“Die Sta­tis­tik ist Coro­na geschul­det”, sagt Hil­pert. “Ich gehe ganz sicher davon aus, dass die­se Anfra­gen wie­der anstei­gen.” Schließ­lich sei­en Jugend­li­che wäh­rend der Pan­de­mie noch häu­fi­ger im digi­ta­len Raum unter­wegs als zuvor. “Die Leu­te sehen dort nur noch schön gemor­ph­te Vor­bil­der”, betont Hil­pert. “Und wenn man Tän­ze auf Tik­tok nach­macht, möch­te man oft auch so aussehen.” 

Der Ende ver­gan­ge­nen Jah­res vor­ge­stell­ten JIM-Stu­die zufol­ge haben Jugend­li­che im Pan­de­mie-Jahr 2020 Insta­gram, Snap­chat, Tik­tok und Co. gegen­über dem Vor­jahr häu­fi­ger genutzt. Am deut­lichs­ten war der Anstieg dem­nach bei Tik­tok: Die Zahl der Jugend­li­chen, die anga­ben, die App min­des­tens mehr­mals wöchent­lich zu nut­zen, stieg um 19 Pro­zent. Beson­ders beliebt war die App bei 12- bis 15-Jährigen.

Wer Vor­bil­dern dort oder sei­nem eige­nen Fil­ter-Sel­fie ähn­li­cher wer­den wol­le, schi­cke man wie­der weg, beto­nen Mang und Hil­pert. “Es ist aber klar, dass die dann woan­ders hin­ge­hen”, sagt Mang. “Oft kom­men sie dann lei­der wie­der zu mir, wenn der Scha­den schon ent­stan­den ist.” Mang for­dert des­halb stren­ge­re Kri­te­ri­en bei der Aus­bil­dung von ästhe­tisch-plas­ti­schen Chir­ur­gen. “Das ist ein Wild­wuchs”, sagt der Chir­urg. “Es ist mög­lich, dass jemand eine Nase ope­riert, ohne das vor­her jemals in der Aus­bil­dungs­zeit getan zu haben.” Bei der Suche nach einem Arzt sol­le man des­halb auf den Titel “plas­ti­sche Chir­ur­gie” oder “plas­ti­sche Ope­ra­tio­nen” achten.

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Abseits des­sen gebe es vie­le Fach­ärz­te aus ande­ren Berei­chen, die sich durch Schön­heits­ein­grif­fe Geld dazu­ver­dien­ten, sagt Alex­an­der Hil­pert. Sie dürf­ten sich Schön­heits­chir­ur­gen nen­nen, weil dies kei­ne geschütz­te Berufs­be­zeich­nung sei. “Sogar Heil­prak­ti­ker dür­fen dem Gesetz nach Fal­ten unter­sprit­zen, die Aus­bil­dung kann man auch online machen”, sagt Hil­pert. “Dabei muss man da schon Ahnung von Ana­to­mie haben, um zum Bei­spiel nicht wich­ti­ge Blut­ge­fä­ße zu treffen.” 

Um Ein­grif­fe durch unqua­li­fi­zier­te Anbie­ter zu ver­mei­den, emp­feh­le er jun­gen Pati­en­ten oft, ein­fach ein paar Jah­re spä­ter wie­der­zu­kom­men, sagt Hil­pert. “Dann kriegt man auch einen klei­nen Rabatt.”

Schonunglose Wahrheit bei Zoom

Doch auch Erwach­se­ne sehen sich wegen der Coro­na-Pan­de­mie immer öfter selbst auf dem eige­nen Bild­schirm: Video-Kon­fe­ren­zen gehö­ren für vie­le Arbeit­neh­mer im Home­of­fice inzwi­schen längst zum All­tag. Nach Anga­ben der DGÄPC ging es bei Schön­heits­ein­grif­fen 2020 auf­fäl­lig häu­fig um Ver­än­de­run­gen im Gesicht.

“Vie­le haben sich in der Coro­na-Zeit stän­dig selbst bei Zoom gese­hen”, sagt Hil­pert. “Vie­le kom­men des­halb und sagen, sie hät­ten gern eine Augen­lid-Ope­ra­ti­on.” Video­kon­fe­ren­zen zeig­ten das Alter der Teil­neh­mer eben “scho­nungs­los”, sagt Kli­nik­lei­ter Wer­ner Mang. Anga­ben der DGÄPC deu­ten dar­auf hin, dass das auch im Fern­un­ter­richt der Fall war: 27 Pro­zent der Mit­glie­der gaben an, dass Leh­rer im Früh­jahr 2020 häu­fi­ger als üblich in ihre Pra­xis kamen.

“Schön­heits­papst” Wer­ner Mang bleibt auch bei die­sen Ein­grif­fen zurück­hal­tend. Er selbst habe sich noch nie unters Mes­ser gelegt, betont der 71-Jäh­ri­ge. “Ich bin stolz auf mei­ne Tränensäcke.”

Quel­le: ntv.de, Fre­de­rick Mer­si, dpa

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